ZETTELKASTEN
BÜCHERKISTE
ZEITKISTE
FLIMMERKISTE
VOLKMAR WIRTH-KRESSE
Sitemap
RAMSCHKISTE
GERÜCHTEKISTE
WEINSTEIN
ARBEITSKISTE
SCHAUKASTEN

ZWEIFEL

Weinstein rühmte sich, dass er ohne Zögern den Stift zücken und den Satz unterschreiben könne, dass er jeder Gewalt ablehnend gegenüber steht. Schließlich hätte er noch nie seine Hand gegen einen Menschen erhoben, die eine oder andere Ohrfeige, die er aus erzieherischen Gründen vor Jahren an seine Kinder verteilen musste, nicht mitgerechnet, denn seit dem vierzigsten Lebensjahr ernähere er sich, so Weinstein, fleischlos. In diesem Augenblick schlug seine rechte Hand eine Mücke, die ihn die ganze Zeit heftig umschwirrte, an seinem linken Unterarm platt. Ob er aber, schob Weinstein schuldbewusst nach, einer Fliege, wie der Volksmund sagt, wirklich kein Leid zu fügen könne, für diese Aussage ließe er lieber den Stift in der Tasche.

14.07.2014




STÖRENFRIED

Auf die bei einer Wahlveranstaltung an ihn gerichtete Frage, was, bitte, er denn sei, soll mein Freund Weinstein gestern geantwortet haben: Genau genommen sei er langzeitpartnerlos. Dabei hätte Weinstein seinen Kopf leicht zur Seite geneigt und soll sich an dem erstaunten Gesichtsausdruck des fragenden Moderators ergötzt haben. Natürlich zielte die Frage auf seine politische Orientierung, hatte sich doch Weinstein durch seine hemmungslosen Anfragen und Redebeiträge mal verstaubt trotzkistisch, mal erfrischend werterhaltend, dann wieder ganz und gar mittig von der Mitte gezeigt. Noch genauer, so Weinstein weiter, sei er langzeitpartnerinnenlos. Das klinge leider etwas verschraubt, entschuldigte sich Weinstein, doch seit geraumer Zeit lebe er ohne feste Partnerin. Gut, hin und wieder gäbe es mal was, für ein paar Tage, nichts Ernsthaftes oder Langfristiges, schon gar was mit Vertrag. Ähnlich wie die bekannteren Langzeitlosen, die wir alle kennen, so Weinstein lautstark, den Langzeitarbeitslosen, würde er sich eh schwer tun, mit einer plötzlichen Anstellung, mit einer Partnerschaft – ob durch Vermittlung oder mittels Bewerbung auf eine Anzeige hin. Um sich erfolgreich in eine funktionierende Partnerschaft einzugliedern, bräuchte er ein Praktikum, gern auch unbezahlt, oder einen Ein-Euro-Job vornweg. Mit sozialpädagogischer Betreuung, damit er durchhalte, pünktlich erscheine und nicht beim kleinsten Problemchen gleich wieder alles hinwerfe. Der Sozialpädagoge würde zunächst einen Förderplan mit ihm erstellen, samt einer fundierten Stärken-Schwächen-Analyse. Sie würden seine Ziele herausarbeiten und diese Punkt für Punkt festhalten. Seine Vorhaben sollten möglichst kleinschrittig sein. Kleinschrittig, erklärte Weinstein gönnerhaft, sei das Gegenteil von auf großen Fuß leben. Zum Beispiel, fügte er an, dass er vor dem Essen einen zweiten Teller auf den Tisch stelle. Oder dass er abends seine Partnerin fragen würde, wie denn ihr Tag war, auch wenn er darüber die neuestes Ausgabe von ‚Bauer sucht Kuh‘ verpasse.
Spätestens an dieser Stelle sollen einige der Kandidaten auf dem Podium unruhig mit ihren edlen Schuhen gescharrt haben, schließlich war es ihre Veranstaltung. Die Politiker wollten sich den Fragen ihrer Wähler stellen, völlig ungezwungen und entkrampft. Jeder Politiker hatte vier Frager aus dem Wahlvolk mitbringen dürfen, die dann ganz spontan die im Vorfeld abgesprochenen Fragen zur Sprache bringen sollen. So jedenfalls war es geplant. Dagegen müssen beherzte Zwischenrufe wie: „Schwätzer!“, oder „Aufhören!“ und auch „Der ist ja betrunken!“, in Richtung meines Freundes gefallen sein. Nur dem Protest des Veranstalters sei es zu verdanken, der sich, das Grundgesetz in die schlechte, weil verbrauchte Luft haltend, auf die Redefreiheit berief, dass man davon abließ, Weinstein zu steinigen oder ihn zumindest aus den Saal zu verbannen.
Die Sache hält an. Mein Freund Weinstein negiert, einmal in Fahrt gekommen, jedes Tempolimit und, so Zeugen, die sich dem Getümmel entziehen konnten, referiert stattdessen mit ungebremster Redelust, wohl aber auch mit ungelenker Rhetorik weiter.

18.09.2013
 


 

LAUT

„Schade, dass es für eine Stadt weder einen Hebel zum Leisedrehen, noch einen Knopf zum Ausschalten gibt.“
Manchmal treiben meinem Freund Weinstein wunderliche Wünsche um. Die Lautstärke einer Stadt wollte er kürzlich drosseln. Deren Töne dimmen. „Einfach zwei Stufen runter“, schwärmte Weinstein. „Oder nur mit halbem Ohr den Krach hören. Das wäre was!“
Dabei meinte er nicht die Querschläger, die das Radio oder Fernsehen täglich auf uns abfeuern. Es waren die banalen Geräusche des Alltags, die ihn nervten.

„Das möglichst effektvolle Türenschlagen“, so Weinstein, „wenn meine Nachbarn morgens in die Schlacht ziehen. Die Karawanen der klimatisierten Kleinpanzer, die über die Straßen donnern und jeden niedermähen, der sich ihnen in den Weg stellt. Und die Mülltonnen“, Weinstein riss die Augen auf und atmete durch die Nase, „und erst die Mülltonnen, diese armen Schlucker. Wenn die über die Ruinen des Fußwegs geschoben werden, dann weißt du, weshalb der liebe Gott die Welt aufgegeben hat. Ständig ecken die Dinger irgendwo an, sie bleiben stecken, fallen um und kotzen dir huldvoll vor die Füße.“
Weinstein schüttelte angewidert den Kopf, der Ekel schlug tiefe Kerben in sein Gesicht.
„Oder der Hubschrauber“, sagte Weinstein. „Jeden Morgen, wirklich jeden Morgen kreist der eine halbe Stunde über mir, als will er jeden Augenblick auf meinem Balkon landen.“
Auch das Husten und Schniefen eines Kollegen, der obendrein seine Telefonate nur schreiend führt, folterten Weinsteins Ohren. „Es wummert und dröhnt“, resümierte Weinstein. „Von früh bis abends. Obwohl mehr früh, aber auch abends. Ständig habe ich diesen Brei, diese Sinfonie der tausend Geräusche in den Ohren. Und wenn ich nachts mal raus muss und auf dem Klo sitze, dann ich höre die Autos, die Tonnen voller Müll, das Husten. Als hätte ich mein inneres Radio, das neben meiner inneren Uhr steht, aus Versehen angestellt, rauschen sofort die Klänge des Tages mit der Spülung der Nacht um die Wette.“

08.09.2013