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ANGST

Reiner Sörries geht in einem Essay ‚Zum kulturgeschichtlichen Kontext der Verhandlungen über das Lebensende Hochbetagter‘ auf das Buch Die schöne neue Welt von A. Huxley ein. In dem Roman suchen die Menschen eine Klinik auf, wenn sie ein bestimmtes Alter erreicht haben. Die Menschen nehmen die Droge Soma ein und verlassen die Welt in einem „angenehm, kindlichen Traum“. Wenige Absätze weiter zitiert Sörries den Arzt Reimer Gronemeyer: „Mehr als die Hälfte der Menschen, die in Krankenhäuser sterben, erleben ihren Tod nicht, sondern verschlafen ihn.“

Wie kann man seinen Tod erleben, würde man ihn nicht verschlafen? Sein eigenes Sterben zu erleben, dies kann ich mir, wenn auch mühevoll, vorstellen. Aber den Tod? Das wäre so, als könnte ich meinen Schlaf erleben. Wobei, die Träume, an die ich mich nach dem Erwachen erinnere, legen nahe, dass ich im Schlaf etwas erlebt habe. Somit muss ich meinen Schlaf auf irgendeine Art ebenfalls etwas erlebt haben. Weiß Gronemeyer, der auch Theologe ist, am Ende mehr vom Ende als allgemein bekannt?
25.09.2015
 

DUNKEL
Zunächst hielt ich es als eine Wortschöpfung, über die sich nachdenken lässt. Immer noch besser als Menschen als Pack zu bezeichnen, wie durch den Vorsitzenden der SPD in Sachsen. Da bemühen sich die Politiker endlich um eine klare Ansage zu formulieren und ihr Politsprech auszuschalten, dann geht das Ganze gleich gegen den Baum. Anders der Bundespräsident, der von Dunkeldeutschland sprach. Als sich Gauck ein Flüchtlingsheim anschaute und den Einsatz der vielen Ehrenamtlichen lobte und die Proteste gegen die Unterkunft rhetorisch an den Pranger hievte, bemühte er dieses Wort.

Dass der Begriff Dunkeldeutschland bereits 1994 auf der Unliste des Unwort des Jahres stand, wusste ich nicht. Auch dass das Wort von jeher den Bürger aus den neuen Bundesländern beschreibt, war mir bisher entgangen. Als ich meinen Wissensrückstand aufgeholt hatte, ging es mir wie einem, der nach zwanzig Jahren Marsaufenthalt die eigene Wohnung betritt.

Es ist schon erstaunlich, dass Gauck, dem Viel- und Gerneredner, ein solcher Lapsus unterläuft. (Oder meint der oberste Repräsentant des Staates am Ende, was er sagt? Als Pfarrer i. R. liegt es nahe, dies zu glauben…) Sein sprachlicher Fehlgriff steht seiner Antrittsrede, die er nach seiner Wahl im März 2012 zum Bundespräsidenten hielt, in nichts nach. Gut, der Mann war an dem Tag volltrunken vor Glück und seine damals schon schillernde Eitelkeit bekam mit der Krönung endlich ihre ersehnte Legitimation. „Was für ein schöner Sonntag!“, begann Gauck seine Rede und leitete bei allen Freunden der Literatur einen mittelschweren Schock aus. Nicht nur, dass Gauck mit dem seligen Ausruf seiner überschwänglichen Freude Ausdruck verlieh, dass allein die Benennung seiner Person zum Bundespräsidenten diesen Tag zu einem schönen machte. Was für ein schöner Sonntag! ist der Titel eines autobiografischen Romans von Jorge Semprun. In dem Buch geht es um den KZ-Häftling Gérald und seinem lebenslangen Zwist, den er mit den großen Ersatzreligionen des letzten Jahrhunderts, dem Kommunismus und dem Faschismus focht.
31.08.2015